Hermann

Zeitschrift von und für Westfalen

63tes Stück.

Hagen, August 6. 1816

 

Wetter an der Ruhr

 

Suchet der Stadt Bestes! (Jerem.)

 

Wetter liegt am aufsteigenden Randes eines mahlerisch schönen, nicht beengten Thales, durch dessen fruchtbare Fluren und Anger in sanften Krümmungen der stattliche Ruhr-Strom sich wenidet; umgeben von höhern, holzbestandenen Bergen, die das Echo Gewitter-ähnlich wiederhallen, und deren Fuß mit landwirthschaftlichen Wohnungen, groß und klein, gleichsam besäet ist. - Burg und Freiheit, mit ihren hehren Schloß-Trümmern, auf einem hundert Fuß hohen, vorspringenden Felsen im Osten, gewähret dem Freunde der schönen Natur einen herzerhebenden Anblick, verschönt durch die etwas entfernteren Ruinen von Hohen-Syburg und Volmarstein; im nahen Westen, das bescheidene, sogenannte Dorf Wetter mit seinem abgestumpften Kirchthurm, unter Obstbaum Gruppen fast verfleckt; - zwischen beiden, erheben sich allgemach die Saaten prangenden Aecker.

 

Wetter war seit Jahrhunderten Amts-Stadt als Sitz des Drosten, des Gerichts, und der Rentei, seinen damaligen Wohnstand bezeugen mehrere ansehnliche, steinerne Gebäude noch jetzt. Jenes Amt hörte auf, das Gericht wurde nach Hagen verlegt, und die mit Rentei-Körner-Abgaben beschwerten Aecker reichten für eine Acker-Stadt nicht zu; und so sank der Ort, einer nicht unbedeutenden Messer-Fabrik ohnerachtet, zur tieffsten Armuth; bis die Markentheilung eintrag, und die väterliche Obsorge des unvergeßlichen Staats-Ministers, Freiherrn von Heinitz, ein kön. westf. Oberbergamt dort ansiedelte, und unter den Resten der alten Burg, ein großes, treffliches Gebäude errichten ließ. Von da an erholten die Einwohner sich wieder.

 

Wie Essen und Werden preußisch wurden, ward das Oberbergamt, aus einleuchtenden Gründen, nach Essen verlegt; aber es blieb ein ansehnliches Bergamt, bis voriges Jahr, in Wetter, wo auch dies – ohne Nutzen für die Dienstgeschäfte, und wider den Wunsch vieler, vieler Steinkohlen-Bergwerks-Eigenthümer, nach Bochum kam; das am äußersten Ende der Grafschaft Mark, mitten in einer fruchtreichen, unabsehbaren Gegend liegt, wo die Hausmiethe theuer ist, und der Beamtete nicht so wohlfeil und sparsam leben kann, als zu Wetter, wo er der Angesehenste war! Und warum diese Verlegung? Man sagt: weil der Weg nach der, nur eine halbe Stunde entfernten Stadt Herdicke of undurchdringlich sei; zu dessen Instandsetzung aber 300 Rtlr. Jährlich auf den Etat zu stellen erlaubt war, und zugereichet hätten, wären sie nur fortwährend darzu verwandt worden! Und die übrigen, etwaigen kleinen Hinderniße konnten füglich durch das, in Bochum verbauete Geld beseitigt werden. Aber Wetter ist dadurch unwidersprechlich der Erwerbslosigkeit und dem Verarmen wieder nahe gebracht, wenn es nicht Hülfe findet, die eine Bevölkerung von 900 Seelen ungefähr, doch wohl werth ist.

 

Diese Verarmung wird durch einige eingerissene Mißbräuche noch schneller herbeigeführt, die niemand – ohne sich zu beschimpfen – füglich vermeiden zu können glaubt, wenn nicht die Obrigkeit in Mittel tritt. Und darum will ich sie hier anführen:

 

1. Bei Heirathen muß der Brätigam den Burschen einen Schinken, Brantwein u. Dgl. geben; dann folgt die sogenannte Viste für Nachbarn, Verwandte, und junge Leute; endlich die Hochzeit selbst, mit so vielen Säften, als nur möglich, die eine – für manche drückende – Gabe geben müßen, welche doch oft nicht zureicht, die Kosten dieser Feste zu decken; also das neue, nicht bemittelte Ehe Paar anfänglich schon in Schulden stürzet, und es auch nach und nach eben so viel wieder zu geben verpflichtet.

 

2. Die Geburten werden durch den ganzen Ort beinahe um das zweite oder dritte Haus angesagt vom Gesinde, das dafür 6 oder 12 Stüber, und mehr, erhält; - dann, das dadurch unvermeidlich gewordene Besuchen der Kindbetterin, begleitet mit einem Geschanke an Butter, Eyern, Kaffee, Zucker, Reiß etc., oft bis zum Werthe eines Thalers. Die Hebamme bittet, ihrem Vortheile gemäß, zuweilen 12 bis 20 Gevattern, sobst aus den Knechten und Mägden, (denn, bei gesegneten Ehen, wo wären sonst so viele Menschen darzu aufzufinden?) ohne Rücksicht auf Verwandtschaft oder Freundschaft, die dann wieder schenken müssen; oft werden gar die vorletzten Gevattern und nächsten Verwandten, zum Schmause wieder mit eingeladen.

 

Das Versäumniß ohngerechnet, wie sollen Handwerker, Tagelöhner und Gesinde, denen diese Ausgabe 40 bis 50 Rtlr. Jährlich kosten kann, bestehen, oder einen Nothstüber zurücklegen können?

 

3. Das Zechen in den Wirthshäusern, in den Samstags- und Sonntags-Nächten, wobei oft so hoch in den Karten gespielet weird, daß der Leidenschaftliche den Erwerb einer ganzen Woche verlieret, und Weib und Kind darben müßen.

 

4. Die Diebereien in Feld und Wald, das öffentliche fast gewaltsame Rauben des Obstes! Ueber letzteres besteht dort ein Sprüchwort: „Was Gott auf hartem Holze wachsen läßt, gehöret jedem.“ Wer aber wird ferner Lust behalten, Obstbäume zu pflanzen, zu pflege, die ihm nur Verdruß und Schaden bringen?

 

Der Obrigkeit wird es leicht, und es ist nöthig, diese wirklichen Uebel zu mindern!!! Aber es reichet noch nicht zu, dem sinkenden Wohlstand Wetters wieder aufzuhelfen, der auch durch Napoleons Verbot der Messer und Schlösser, gar sehr gelitten hat. Daher sei es mir erlaubt, meine Ansichten darüber hier äußern zu dürfen!

 

Man setze den kurzen Weg von Wetter nach Herdicke in einen brauchbaren und sicheren Stand; nicht wie bisher, durch die Niederung, wo oftmalige Fluten alle Besserung vernichteten, sonder am Fuße des Berges her; wodurch Herdicke an seinen beträchtlichen Weiden und Wiesen bedeutend gewinnt; Wetter kann die Erzeugniße seiner Felder und Fabriken leichter verführen, die erforderlichen Materialien heranziehen, was nun zuweilen fast unmöglich wird; - es bekäme die Durchfahrt aus dem Gericht Volmarstein, welche die Kunststraße jenseits der Ruhr begünstiget; - es könnten neue Fabrikzweige sich ansiedeln, die die Wohlfeilheit und schöne Lage des Orts, die lutherische und reformierte Kirchen und Schulen, schon anlocken würden, wäre jene Straße nur gebessert.

 

Ferner, wenn das große, schöne bergamtliche Gebäude entweder zum Sitze der landräthlichen Behörde *) (nur nicht zu einer Corrections-Anstalt, die die Einwohner nur verschlechtert!) oder für heranzuziehende Fabriken, Verleger in Wolle, Baumwolle, oder Seide (schon sind 17 Webstühle in Seide und Sammet vorhanden) aufbewahret und wohlfeil hergegeben würde! Ein paar tausend Reichsthaler Verlust daran, sind nichts gegen die Verlegung des Bergamtes, und für Erhaltung so vieler Menschen in Wetter.

 

O, möchte es mir doch gelingen, die Aufmerksamkeit des Landesherrn, und anderer, auf diese gewiß wichtigen Gegenstände zu lenken, die in sich nicht schwierig zu seyn scheinen.

P. Harkort zu Schede

 

*) Als Sitz der landräthlichen Behörde dürfte Wetter doch gar zu sehr in einer Ecke des Kreises liegen.

D. Red.